24-Stunden-Lauf in Eppeville (F), 17. bis 18. Mai 2003
„Scheiß-Rekord“ fluchte sie, „eigentlich
gehöre ich ins Bett“
zurück
Manch´ einer hatte uns mitleidig angeschaut, als Conny erzählte,
dass sie so kurz nach dem 48er in Surgeres/F schon wieder zum Laufen nach
Frankreich will. Was soll ich denn machen?, hat sie dann gefragt,
die waren doch so nett im letzten Jahr und ich hatte doch schon
zugesagt, bevor die Einladung nach Surgeres kam!
Ich werde nur ganz locker mitlaufen, völlig ohne Stress, einfach
so, ohne Erwartung auf eine gute Leistung, so erklärte sie
mir noch auf der Fahrt nach Eppeville. Aber da hatte sie die Rechnung
ohne den Wirt gemacht!
Als habe man schon den ganzen Tag auf uns gewartet, ließen Gerard,
der Präsident und Gabriel, der Vizepräsident alles stehen und
liegen und begrüßten Conny und mich überschwänglich.
Conny wurde sofort die Starterliste präsentiert. Man hatte ihr als
Favoritin bei den Frauen die Startnummer 2 zugeteilt, die
1 hatte der Favorit auf den Gesamtsieg, ein Franzose. Wenn
das kein Franzose gewesen wäre, hätte es mich nicht gewundert,
wenn Conny die 1 bekommen hätte. Das Nächste, was
präsentiert wurde, war die Gedenktafel im Eingang der Halle, durch
die die LäuferInnen in den 24 Stunden Nonstop dÉppeville
auf jeder Runde laufen. Darauf steht der Streckenrekord für Damen,
aufgestellt 1996, mit etwas mehr als194 km. Noch lachte Conny und versuchte
sich dem Überschwang gegenüber verständlich zu machen und
solch ein Ansinnen als undenkbar zurückzuweisen. Jedoch, sie hatte
keine Chance. Zu allem Überfluss kramte Gerard nun noch eine Fotokopie
eines Zeitungsartikels vom gleichen Tag hervor, der Conny großformatig
im Portrait zeigte und in dem zu lesen war, dass sie eigens anreisen würde,
um den Streckenrekord zu brechen.
Da war es nun passiert! Am liebsten würde ich sofort wieder
abreisen!, war ihre erste Reaktion. Wie soll ich das denn
schaffen, so kurz nach Surgeres und enttäuschen kann ich die
doch auch nicht...!
Wir beschlossen, erst einmal nicht weiter darüber nachzudenken. Der
Lauf würde schon zeigen, was am Ende dabei heraus kam. Zur Ablenkung
wanderten wir ins Zentrum der kleinen Stadt Ham, zu der Eppeville gehört.
Erst einmal von der Fahrt entspannen und den Abend vor dem Rennen genießen,
war die Devise. Was wir erlebten, war Ehre und Verpflichtung zugleich.
Als hätten sie alle es noch vom vergangenen Jahr im Gedächtnis,
zeigten die Leute auf Conny und wünschten ihr einen guten Lauf. In
einer kleinen Cafe-Bar, war sie schlichtweg die Attraktion. Wer es noch
nicht wusste, wurde von den Wirtsleuten per aufgeschlagener Zeitung darüber
informiert, wer da still im Eckchen seinen Cafe au Lait schlürfte.
Also es gab kein Entrinnen, der Veranstalter hatte ganze Arbeit
geleistet.
Beim Start am folgenden Nachmittag sprachen fast alle Mitstreiter Conny
an und wünschten ihr bei ihrem Vorhaben, einen neuen Streckenrekord
aufzustellen alles Gute. Der Strecken-/ respektive Hallensprecher tat
ein Übriges. Wer es bis dahin noch nicht wusste, bekam es nun in
gehöriger Phonstärke mitgeteilt: Cornelia va battre le
record de lépreuve!, was nichts anderes bedeutet, als dass
Conny den Rekord zu brechen hatte!!!
Glücklicherweise kachelten die 45 französischen Männer,
die mehrheitlich angetreten waren um den Meister der Picardie zu ermitteln,
dermaßen los, dass Conny für ein paar Stunden nicht weiter
auffiel. Die übrigen weiblichen Teilnehmerinnen waren offensichtlich
keine ernstzunehmende Konkurrenz, so dass sich wenigstens zu Beginn der
Veranstaltung so etwas wie eine Ruhezone entwickelte. Zu Beginn!!!
Als klar wurde, dass Conny mit ihrem gleichmäßigen Tempo nach
und nach die losgesprinteten Männer einsammelte, erwachte die Begeisterung
für die Frau, die Rekord laufen wird von Neuem. Für Conny bedeutete
das Stress ohne Ende. Dazu kam, dass ich ihr immer wieder signalisierte,
dass der Rekord bei diesem Tempo fallen musste.
Nach einer Stunde auf Platz 32, lief Conny durch das Feld. Zu Beginn des
neuen Tages war sie bereits, wie im Vorjahr auf Platz drei des Gesamtklassements,
die übrigen Damen waren jetzt schon deklassiert, aber trotzdem wünschten
sie Conny bei jeder Überrundung auf der 2,7963 km langen Strecke
mit zwei Steigungen Glück bei dem Vorhaben, den Rekord zu brechen.
Ca. zwei Stunden vor dem Ende der 24 Stunden war es dann soweit: der vor
ihr liegende Franzose Pascal Vaury musste mit einer Verletzung aufgeben
und Conny lag auf Platz zwei der Gesamtwertung. Jetzt wurde der Druck
noch einmal höher. Zuschauer und Mitstreiter, Staffelläufer
und Begleiter feierten Conny, so dass sie, die eigentlich gehen wollte,
weil die 48 Stunden von Surgeres immer deutlicher wurden, immer weiter
laufen musste. Scheiß-Rekord fluchte sie, normalerweise
gehöre ich jetzt ins Bett! Was habe ich denen nur getan, dass die
mich nicht in Ruhe lassen! Wenn ich das gewusst hätte, ich wäre
sofort wieder nach Hause gefahren! Zu allem Überfluß
bekam sie von mir regelmäßig die Information, dass sie nicht
nur auf Rekordkurs für Eppeville war, sondern dass am Ende eine Leistung
von über 200 km herausschauen würde, wenn sie ihr seit vielen
Stunden völlig gleichmässiges, ruhiges Tempo weiter durchziehen
würde. Jetzt lässt du dich auch noch von denen beutzen,
mich hier `rum zu hetzen! schimpfte sie na, ja, als Betreuer
ist man ja Kummer gewohnt, die Freude hinterher würde bestimmt größer
sein, als der momentane Erschöpfungsfrust.
Und so war es dann auch! 203,324 Kilometer bedeuteten den zweiten Gesamtrang
hinter dem Franzosen Jean-Claude Le Gargasson, der es auf 225,694 km gebracht
hatte. Rund 19 km hinter Conny dann der nächste Franzose, Bernard
Coadou. Die nächste Dame hatte knapp 65 km Rückstand. Der Streckenrekord
für Damen war also gefallen! Die Halle stand am Ende der Veranstaltung
Kopf. Nicht enden wollender Applaus entschädigten Conny für
den enormen Druck, den sie ausgehalten hatte. Eine Einladung des Bürgermeisters
zur Übergabe der neuen Rekordtafel am Eingang der Halle rundeten
eine grandiose Siegerehrung ab, bei der es, wie im Vorjahr, reichlich
Geschenke der Sponsoren der Veranstaltung gab.
Unter anderem gab es einen gut bestückten Präsentkorb, dem wir
die Flasche Champagner entnahmen, um in aller Stille auf die vergangenen
turbulenten Stunden zu trinken. Am Ende war Conny mit dem Rekord versöhnt
und die nötige Bettschwere zu einem erholsamen Schlaf war hergestellt.
Das Frühstück am anderen Morgen war der gelungene Abschluß
eines Wochenendes, wie es zwiegespaltener nicht mehr sein konnte. Siegfried Bullig |