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ne:Ee:Europa-Läufer auf der Deutschlandetappe
Vom Nordcap nach Sizilien
Unglaublich aber wahr Achim Heukemes lief
auf seiner Nordkap-Sizilien-Tour in nur 34 Tagen 3500 Kilometer bis Mainz
und überquerte fünf Tage später schon die Alpen.
Guntersblum, 4. August
2000: Es ist 5:30 Uhr, leise klappert eine Tür, Geschirr schlägt
aneinander. Dies ist das Signal für den Start eines Halbmarathons,
wie ich ihn bestimmt nicht mehr erleben werde. Ich krieche aus dem Zelt
und klopfe sachte an den Verschlag des Luxus-Wohnmobils neben an, wo die
immer noch verhaltene aber jetzt vielfältigere Geräuschkulisse
unzweifelhaft auf Frühstücksvorbereitung hindeutet.
Ein Frühstück wie es sich Achim Heukemes schon seit 34 Tagen
ohne Unterbrechung angerichtet hat, ein Frühstück, das für
mich unvergesslich bleibt, denn es ist Teil meines Halbmarathons
der besonderen Art.
21, 1 Kilometer werde ich heute durch die Pfalz laufen von Guntersblum
bis nach Worms an der Seite eines Mannes, der seit dem 1. Juli
ohne Unterbrechung läuft und läuft. Im Schnitt 106 Kilometer
täglich vom Nordkap nach Sizilien. Heute in Guntersblum hat Heukemes
3590 Kilometer geschafft mehr als die Hälfte seines Weltrekordversuchs,
den bislang kein Mensch gewagt hat. 6100 Kilometer am Stück laufen,
keinen Tag Pause für mich als Hobby-Sportler übersteigt
das die Vorstellungskraft.
Und doch es ist es wahr. Leibhaftig steht dieser 1,76 Meter große
Mann vor mir und strahlt nach 3590 Kilometern Strecke und bislang fast
15.000 Höhenmetern aus den Augen. Seine Haut ist braun gegerbt, sein
Gesicht wesentlich hagerer als bei seinem letzten Redaktionsbesuch kurz
vor dem großen Start. Bei jeder Bewegung treten die Sehnen und Muskelfasern
unter der Haut hervor. Dieser Mann hat kein Gramm Fett mehr auf den Rippen.
Dieses riesige Energiereservoir hat sein Körper verbrannt, irgendwo
zwischen dem Start am kalten Nordkap in Norwegen und der sommerlichen
Pfalz in Deutschlands Süden. Zwischen dem denkwürdigen Kilometer
null, wo sich die Touristen mit Blick aufs Polar-Meer mit ihren Wohnmobilen
stapeln, bis nach Deutschlands Süden liegt eine halbe Ewigkeit. Norwegen,
das war die reine Hölle, erzählt er gedämpft, weil
seine erschöpfte Crew wie jeden Morgen eine Stunde länger schläft.
Diese verdammte E6, die einzige Verbindung von Nord nach Süd
raubte mir meine mentale Kraft. Ein Laster nach dem anderen und dann war
die Straße zu beiden Seiten abschüssig asphaltiert, erinnert
sich Heukemes und streicht sich mechanisch den Knöchel an dem seine
Außenbänder schwer gelitten hatten. Er zeigte mir den in Norwegen
einseitig völlig abgelatschten Schuh. Seine Lebensgefährtin
Eva Janele (53) und Masseur Ralf Köster (34) hatten in den ersten
und schwersten 11 Tagen alle Hände voll zu tun. Es regnete in Strömen
ohne Unterlass. Die Schuhe waren aufgeweicht und die Füße auch.
Dazu herrschten Temperaturen um 4 Grad Celcius. Auch der Streckenverlauf
ging an die Nerven. Ich hätte nie gedacht, dass Norwegen so
bergig ist. Runter bis auf Meereshöhe, dann wieder 400 Meter rauf,
Anstiege von zehn Kilometern waren keine Seltenheit, erzählt
Heukemes und streicht sich in dem wohltemperierten Camper sein Frühstücksbrötchen.
An einem Tag ist Achim über 100 Kilometer um ein Fjord gerannt
und hat dabei effektiv nur 25 Kilometer auf der Landkarte von Nord nach
Süd geschafft, wirft Köster ein, der sich von unserer
Unterhaltung geweckt den Schlaf aus den Augen reibt. Das ist sehr
schlecht für die Motivation und den Kopf, beschreibt Köster
die Stimmung im kalten Norden.
Doch Heukemes wäre nicht Heukemes, wenn er nicht für alle denk-
und undenkbaren Hürden ein mentales Geheimrezept parat hätte.
Positiv denken, oder besser, mit dem Willen den Körper
besiegen, hieß seine Devise, als am schwärzesten Tag
schon nach 11 Tagen das Wahnsinns-Unternehmen trudelte. Heukemes war nach
90 Kilometern völlig platt zum Glück stand jetzt eine
kleine Fährüberfahrt auf dem Programm. Er legte sich in die
Koje und schlief sofort ein. Achim glühte wie ein heißer
Stein, tönte es aus Kösters Koje. Die Muskeln zuckten,
wir dachten das war´s. Und nach der Überfahrt stand Achim
zu unserer Verwunderung auf und schnitt sich nochmals zehn Kilometer
Strecke aus den Rippen, erzählt Köster mit einer Mischung
aus Unverständnis und Bewunderung im Blick. Gibst du einmal
deinem Körper nach, dann ist das nächste Mal die Entschuldigung
schnell bei der Hand, erklärt Heukemes seine Hartnäckigkeit.
Mir wird klar, dass der Dauerläufer aus der extremen Treue zum Prinzip
seine unbändige Willenskraft schöpft.
Während sich Heukemes die Schuhe für ein winzig kleines 21,1-Kilometer-Etappen-Stück
bis zum zweiten Frühstück schnürt, zurre ich die Schnürsenkel
fest für einen ausgewachsenen Halbmarathon. Langsam laufen wir an,
Heukemes tribbelt in hochfrequenten, kurzen Schritten. Flach steht die
Sonne an diesem Morgen im Rheintal, die Weinberge dampfen, der Frühnebel
taucht die Landschaft in goldenen Dunst.
Ich beneide ihn um diese grenzenlose Freiheit, die er jeden Tag empfinden
darf. Eine Freiheit, die ihn Stunde um Stunde mit unzähligen Eindrücken
belohnt. Ob Kälte oder Wärme, ob Sonne oder Regen, ob leichtfüßiger
Lauf oder schwere Beine, ein Mensch, der jedes Erlebnis auf dem Habenkonto
verbucht, wird reich und reicher.
Und so wie Reiche noch reicher werden wollen, will Heukemes auch immer
mehr. Während wir gemeinsam durch das Dorf Mettenheim laufen, erzählt
er mir schon von seinem nächsten Traum. Die Route 66 die in
Asphalt geschriebene Legende durch die Vereinigten Staaten. Auch
wenn die Strecke nur knapp 4000 Kilometer beträgt, die klimatischen
und topographischen Hürden sind extrem hoch, beschreibt Heukemes
die neue Idee. Über 40 Grad in der Wüste, schroffe Steigungen
sowie Temperaturschwankungen in den Rocky Mountains dazwischen
endlose Weiten und kerzengerade Straßen.
Unsere Straße biegt soeben nach Osthofen ein. Nicht auf die
B9, korrigiert Heukemes unseren Kurs und klebt den selbsthaftenden
Notizzettel mit dem Streckenverlauf dieses Halbmarathons wieder ans Singlet
unterm Hosenbund. In der Laufshort-Tasche steckt seit der Etappe
nach Bonn auch eine Telefonkarte, schmunzelt Heukemes und berichtet
von seiner Odysse vor der ehemaligen Bundeshauptstadt. Heukemes lief verabredungsgemäß
über einen Radweg am Rhein entlang. Die Crew tuckerte derweil über
die Hauptstraße. Doch der Radweg gabelte sich und plötzlich
stand Heukemes ohne Rhein vor den Toren Bonns. Es war spät am Abend
und kein Wohnmobil in Sicht. Dumm nur, dass Heukemes weder Groschen, noch
Telefonkarte dabei hatte. Die Lösung: Ein SOS-Telefon. Ich
habe meine Mannschaft verloren, erklärt Heukemes dem freundlichen
und geduldigen Polizisten seine Lage. Und der reagierte prompt. Da er
Heukemes am Tag zuvor im Fernsehen gesehen hatte, setzte er alle Streifen
auf das verlorene Wohnmobil an. Ein Polizeifahrzeug fuhr sogar am Standort
Heukemes auf und ab. Doch kein Wohnmobil war in Sicht. Nun begann der
komplizierte Teil der Rettung: Für die Polizei fast zu hoch. Heukemes,
der die Handy-Nummer nicht parat hatte, gab dem Polizisten die Telefonnummer
seiner Mutter, die wiederum kannte die Nummer der Mutter seiner Lebensgefährtin
und die letztlich hatte die Handy-Nummer parat. Und so ging die Information
über Heukemes verfehlten Standort via Glasfaserkabel und Mobilnetz
seinen Lauf.
Aus Fehlern lernt man und so einen machte Heukemes schon am ersten Tag
beim Start am Nordkap. Er hatte sich enorm unter Druck gesetzt, einen
Tagesschnitt von über 106 Kilometern zu laufen. Deshalb fuhr der
Deutsche Meister im 24-Stundenlauf schwere Geschütze auf und absolvierte
aus dem Stand 235 Kilometer am Stück. Das war völliger
Blödsinn, kommentierte er diese Aktion, während wir auf
den Marktplatz von Osthofen einbiegen. In der Summe hat mir das kaum was
an Zeit gebracht, denn danach habe ich über zehn Stunden statt sonst
unter sieben Stunden geschlafen. Und auch die Crew war mit diesem 24 Stunden-Trip
an diesem überm Polarkreis tatsächlich endlosen Tag fast überfordert.
Nun wir sind hier und es läuft mit jedem 1000-er besser,
meint Heukemes und blickt nach vorn. Nach vorn auf die Königsetappe,
die er schon drei Tage später am Dienstag, den 8. August, laufen
wird. Sein Timing sieht vor, dass die Euro-Lauf-Truppe bei Luzern punktgenau
100 Kilometer vor der Grimselpasshöhe übernachtet. Am Dienstag
stehen dann diese 100 Kilometer und 1729 Höhenmeter auf dem Plan
(von 436 m auf 2165 m). Direkt auf der Passhöhe wird das Nachtlager
aufgeschlagen. Am nächten Tag geht´s bergab, dann über
den Simplonpass Richtung Mailand durchs sonnige Italien.
Wir zwei aber laufen erstmal ins sonnige Worms ein, das Ziel meines besonderen
Halbmarathons, wo das Wohnmobil mit dem zweiten Frühstück auf
Heukemes wartet. Ich schaue auf die Uhr: 1:42 Stunden. Ich verstehe dieses
Tempo und die Welt nicht mehr. Es ist jetzt 9:00 Uhr morgens, Heukemes
drückt sich einen süßen Amerikaner, Quarktaschen
und Nutella-Brötchen rein. Ich verabschiede mich und fahre nach Hause,
er dagegen wird an diesem 4. August noch 85 Kilometer laufen. Einen Marathon
bis zum Mittag, ein weiterer bis zum Abend.
Nachclap: Mit Auszügen aus Telefoninterviews skizziert running-pur
den Verlauf der Reise bis zum Redaktionsschluss. Leider, liebe Leser/innen,
ist das Heft schon im Druck, wenn Heukemes am 24. August in Sizilien eintrifft.
Doch im Internet-Magazin können Sie das packende Finale des Euro-Laufs
nachlesen: www.running-pur.de
7. August, 21:30 Uhr: Heukemes steht planmäßig bei Luzern vor
der Königsetappe. Stimmung gut, Form bestens.
8. August, 20:30 Uhr: 4000 Kilometer sind geschafft, berichtet
Heukemes vom höchsten Punkt der Etappe, dem 2165 m hoch gelegenen
Grimselpass. In 2:58 Stunden lief er ab einer Höhe von 622 Metern
27 Kilometer bei einer Steigung von 11 Prozent hinauf.
10. August, 21:00 Uhr: Wir haben die Alpen genommen, wir sind hinter
Mailand. Heute gab´s einen Vorgeschmack auf die Etappen durch die
Pampa 30 Grad im Schatten.
14. August, 19:30 Uhr: Jetzt sind wir auf Höhe Rom. Temperaturen
um 35 bis 40 Grad, das strengt an.
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